Dienstag, 31. August 2010

Bonifatius - Das Musical

Einst verkündete Jesus: "Leben wächst – es wächst durch ein Sterben hindurch! Eben: Wie ein Weizenkorn, das in die Erde gelegt wird und stirbt, dann aber vielfältige Früchte trägt!"
Jenes suggestive Leitbild in Zeiten der Christianisierung im Frühmittelalter prägte den Missionar und Apostel Bonifatius. Den christlichen Glauben mit all seinen Lehren der Gottes- und Nächstenliebe zu verbreiten, ist Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung um den Märtyrer und Grundsteinleger der deutschen Geschichte.

„Und ein Nebel stieg auf und überdeckte den ganzen Boden."(Moses 2, 6) In diesem Hauch von Nichts beginnt die personifizierte Unschuld in Form eines kleinen Mädchens zu wandern, den christlichen Glauben erneut zu entfachen. Ein schier unmögliches Unterfangen, das christliche Gut zu sähen und in dem Mensch - voll von Sünden(Trägheit, Zorn, Hochmut, Wollust,...) - gedeihen zu lassen. Denn selbst der aufmerksamste Hirte ist vor schwarzen Schafen in seiner Herde nicht gefeit, wird aktuell sogar die kirchliche Unantastbarkeit durch Missbrauchsskandale überschattet.

Mit Scharfsinn, Willenskraft und Sanftmütigkeit eilt dem Lamm Reinhard Brussmann als Bonifatius zu Hilfe und nimmt sich der Mission an. Mit fester Überzeugung an das Wort Gottes zieht er unbeirrt umher, die Bevölkerung zum Christentum zu bekehren. Diesen Mönch zeichnen Charisma und Konsequenz aus, was Brussmann ohne jegliche Mühen auf der Bühne verkörpert. In Verbindung mit der wohlklingenden gestandenen Heldentenor-Stimme verleiht er der Figur ein Höchstmaß an Sympathie.
Sein ständiger Wegbegleiter Willibald (Artur Ortens) ist federführend als "Strippenzieher" und Erzähler im Hintergrund der Geschichte. Der bedeutendste Biograph des Bonifatius versetzt den Besucher in die Zeit des 8. Jahrhunderts, lenkt die Aufmerksamkeit auf die richtungsweisensten Stationen im Leben des Apostels. Wie ein Zauber, der einen zurücktransportiert. Die "Macht" dieses Autors scheint grenzenlos. Szenen werden verlangsamt, oder eingefroren, mitunter umgeschrieben - als Fingerzeig zur Bedeutung.

Das sprichwörtliche "Salz in der Suppe" wird durch Bonifatius' Gegenspieler Friesenherzog Radbod(Daniel Dodd-Ellis) beigefügt. Instrumental sowie stimmlich erfolgt eine deutliche Abgrenzung vom Christentum. Unterstützt durch Mark und Bein erschütternde Stammesmelodien wird der Bass-Solist seiner Anführerrolle gerecht, Glaube und Werte bis in den Tod zu verteidigen. Im Charakter geeint, durch Religion entzweit. Spiegelbilder, die nicht tragischer in Streit geraten könnten: Als Bonifatius bei einem heidnischen Ritual vor seinen Augen eine dem Stammesgott Donar geweihte Eiche fällt und sich viele seiner Anhänger daraufhin auf die Seite des Christen schlagen, schwört Radbod dem Missionar Rache.
Aber nicht nur heidnische Gegner leisten Widerstand: Einflussreiche Kräfte aus den eigenen Reihen spinnen teuflische Intrigen und schmieden mörderische Pläne, um sich Bonifatius endgültig zu entledigen. Dem Bischof von Mainz, Gewilip(Christian Schöne), ist der Missionar ebenso ein Dorn im Auge. "Duo cum faciunt idem, non es idem!"(lat. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe!) - christliche Gebote sind ihm völlig fremd: Egoismus, Laszivität und Dekadenz hingegen zeichnen seinen Charakter aus. Entgegen dem Zölibat frönt er den weltlichen Gelüsten. Folgerichtig prägt der Countertenor den Antagonisten durch seine erotisierende sowie narzistische Schauspielkunst. Wehe dem, der sich in seine Wege stellt!

Sieben Freunde sollt ihr sein - biblisch als Kombination der göttlichen Dreifaltigkeit mit den irdischen Vier Elementen. Denn selbst der größte Held vermag nicht allein den Gefahren ins Auge zu blicken - Batman mit Robin, Herkules mit Iolaus oder Xena mit Gabrielle. Novize Sturmius(Dirk Johnston) begleitet seinen Herrn auf all seinen Wegen durchs heidnische Germanien. Der junge, wissbegierige Klosterschüler lernt viel vom großen Missionar. Wie die Obhut Sturmius von der Raupe zum Schmetterling reifen lässt, entweicht die Unerfahrenheit des Darstellers mit näherndem Finale aus Körper und Seele (bzw. Stimme). Mit einer wahrlichen Glanzleistung, der Ballade "Wenn das wirklich Liebe ist" im Duett mit Sabrina Weckerlin, entschwinden seine anfängliche Blässe und Befangenheit. Hin und her gerissen zwischen dem Meer seiner bisher ungekannten Gefühle und seinem Mönchsleben, schwört er am Sterbebett Bonifatius' Werke weiter zu führen.
Wind unter den Flügeln spüren und fortgetragen werden - Alruns(Sabrina Weckerlin) Hoffnungen dem langweiligen Alltag ihrer kleinen Schänke, in einem verlassenen Gut des fränkischen Hausmeiers Karl Martell, zu entfliehen. Hoffnungen, welche der Novize Sturmius mit seiner unverhofften Anwesenheit entfacht. Wie der Topf auf den Deckel scheinen beide füreinander bestimmt. Sehnsucht, die ihre Stimmen zu wahrer Kraft auferleben lässt, um schlussendlich am Werk Gottes den Traum der Zweisamkeit, wie eine Seifenblase, zerplatzen zu sehen. Diese Akzente, besonders im Zusammenspiel mit Sturmius, werden dem Besucher nur zu selten angeboten. Solche Kostbarkeiten des Musicals könnten - nein müssen - häufiger Einsatz finden!

Als heimlicher Star des Abends avanciert dagegen Mara Dorn in ihrer Rolle als Lioba, der charismatischen Cousine des Bonifatius. Ihr an "Sister Act" angelehnter Gospel "Starke Frauen", welcher eigens für die 4. Spielzeit neu komponiert wurde, versprüht Lebenslust und Freude mit Mitklatsch-Garantie. Obwohl für damalige Zeiten der kirchlichen "Männerwirtschaft" dieses Stück eher befremdlich zum übrigen Kontext wirkt, würdigen die Gäste zurecht Mara Dorns Leistung mit nicht enden wollendem Applaus.
Für Auflockerung des scheinbar angestaubten Christentums sorgen die Söhne vom fränkischen Hausmeier Karl Martell(Dietmar Ziegler), Pippin und Karlmann. Besonders letzt genannter zaubert durch seine oftmals etwas vorlaute und humorvolle Art viele Lacher auf die Gesichter der Zuschauer. Sogar der Papst(Doppelrolle: Dietmar Ziegler) persönlich bleibt nicht verschont. Vervollständigt wird die Herde um den Apostel durch Alruns Bruder Luidger(Karl Grunewald), der in seiner Gesamtheit sinnbildlich für jeden einzelnen aus Bonifatius' Gefolgschaft steht. Wie er sind die Anhänger fasziniert vom Mut und der Überzeugungskraft des Missionars.

"Mancher ist arm bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut."(Luther Bibel 13,7) Gemäß dieses Leitverses gestaltet sich das minimalistische Bühnenbild. Mit nur 3 gewaltigen Quadern werden Gasthäuser, Mainzer Dom, sogar die Donar-Eiche geformt. Diese "Leere" fokussiert die Charaktere des Stückes stärker, damit Nichts von der Aussagekraft verloren geht. Der Gast kann vom Nebensächlichen nicht abgelenkt werden und jeder kleinste Fehler rückt deutlicher in den Vordergrund. Aber die schauspielerischen Leistungen sowie Inhalt tragen umso mehr zum Reichtum des Stückes bei.

"Bonifatius - Das Musical" ist neumodischer Geschichtsunterricht ohne faden Beigeschmack des Auswendiglernens. Ein Familienspektakel mit inhaltlich anspruchsvollen Themen der Religion und Gesellschaft bei dem das Bild der sonst so konservativen Kirchen neu gemalt wird.


In Nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti!

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